Nachtwache
Veröffentlicht am: 01.06.2012
Thomas Hengelbrock gehört bereits seit vielen Jahren zu den bemerkenswertesten Dirigenten unserer Zeit. Besonders seit er 2011 das Amt des Chefdirigenten des NDR übernahm und bei den Bayreuther Festspielen debütierte ist er in aller Munde. Bekannt wurde er vor allem durch die Gründung und Leitung des Balthasar-Neumann-Chors und -Ensembles in den 1990ern, die sich mit ihren ausgefeilten Programmen und beeindruckender Präzision einen Namen machten. Diese Produktion wagt sich über die Grenzen der Musik hinaus und vereint Poesie und Chor-Musik zu einem stimmigen Konzept, das die deutsche Romantik in Lied und Wort hervorragend darstellt.
Der Balthasar-Neumann-Chor singt die schönsten a-cappella-Kunstlieder der Romantik von Brahms, Schumann und Mendelssohn. Im Wechsel dazu leiht Schauspielerin Johanna Wokalek (Die Päpstin) ausgewählten Texten von Eichendorff, Novalis und Heine ihre Stimme: Sie liest Lyrik und Prosa mit einer Tiefe, die die Zuhörerinnen und Zuhörer auf jedes Wort lauschen lässt. Durch die außerordentliche Musikalität, aber auch durch die sorgfältige durchdachte Dramaturgie des Programms ist Thomas Hengelbrock einmal mehr eine absolut außergewöhnliche und hörenswerte CD gelungen.
CD der Woche: "Leise Töne der Brust, geweckt vom Odem der Liebe", heißt es in der ersten "Nachtwache" nach Friedrich Rückert von Johannes Brahms. Die leisen Töne, der Atem, die Liebe – sie spinnen sich fort auf der gesamten CD. Gerade das stille Sehnen und die ruhigen Momente sind es, die besonders berühren. Hengelbrock formt da mit seinem Balthasar-Neumann-Chor einen Klang, der so schlicht und ungeschminkt ist, als würde die Seele des romantischen Ichs offen und nackt vor uns stehen. Diese Direktheit spiegelt sich in der einfühlsamen Art wider, mit der Wokalek die ausgewählten Gedichte vorträgt. Wie der Chor versenkt auch sie sich tief in die Stimmungen hinein. […] Jede musikalische Nuance trifft die Emotion und den Ausdruck des Textes, jede Zäsur ist bewusst gesetzt. Die Musik ist von einem Atem durchdrungen. […] Wort und Musik weben sich ganz natürlich ineinander.
(NDR Kultur 2012)
[…] es gibt viel zu lauschen, denn herausgekommen ist ein ausgefeiltes Konzeptalbum […] Gleich auf mehreren Ebenen entfalten sich in Liedern und Gedichten dramaturgische Bögen: von der Nacht in und durch den Tag zurück in die Nacht sowie vom Winter in den Frühling hin zum Herbst und wieder Winter. […] Seinen besonderen Reiz erhält das Ganze durch das Zusammenspiel der Lieder mit gelesenen Gedichten von Novalis, Heinrich Heine, Eduard Mörike oder Joseph von Eichendorff. Johanna Wokalek rezitiert unaufgeregt, zugleich mit viel Sinn für die Farben und Töne zwischen den Zeilen. Der Balthasar-Neumann-Chor begeistert mit seinem ebenso expressiven wie klangschönen Singen. Ob leise, abgeschattete Passagen oder kraftvolle Ausbrüche – alles klingt wie aus einem Guss und besitzt eine natürliche Direktheit, die berührt. Auch in puncto Intonation und Textverständlichkeit kann Chorleiter und -gründer Thomas Hengelbrock hoch zufrieden sein.
CD der Woche – (RBB Kulturradio 2012)